Das Doppelspiel by Heinz G. Konsalik

Das Doppelspiel by Heinz G. Konsalik

Autor:Heinz G. Konsalik [Konsalik, Heinz G.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-27T16:00:00+00:00


Jede Organisation, auch die beste, und was hier an dem zu einem reißenden Strom gewordenen Flüßchen Tjuganja geschah, sollte ein Musterbeispiel sowjetischer Improvisationskunst werden, braucht ihre Zeit. Ehe aus einem Samenkorn ein Getreidehalm sprießt, vergehen Monate, sogar die einfachste Feldblume benötigt ihr Entwicklungsstadium, jedes Unkraut wächst nach Naturgesetzen … nur was man mit einem Menschen alles anstellen kann, der weniger ist als Unkraut, das lernte Shukow in den nächsten Stunden kennen.

In der Morgendämmerung, die keine Sonne durchließ, weil nur Wasser vom Himmel fiel, das alles Licht aufsaugte bis auf eine trübe Helligkeit, blieb also der Zug stehen, und es nützte gar nichts, daß die Begleitoffiziere der Deportierten brüllten, daß die Zivilreisenden, meistens Ingenieure, Wissenschaftler, Geologen und Raketenfachleute, wie Gassenjungen fluchten … der geplagte Zugführer rannte, nachdem er Shukow und die Wuginskaja informiert hatte, wieder durch seinen blockierten Zug und schrie herum, im Parteiprogramm stehe weder drin, wie man sich bei einer Sintflut benehmen solle, noch wie man es schafft, unter den Waggonrädern wegsinkende Schienen aufzuhalten.

»Noch vier Tage einen solchen Regen und wir werden zu einer U-Bahn!« brüllte der Zugführer jeden an, der ihn mit seinen Terminen belästigte und Marschbefehle oder Einstellungsdaten vorzeigte. »Hätten Sie einen Posten in Nowgorod angenommen oder in Irkutsk oder in Smolensk … Genossen, ihr säßet jetzt mit einem warmen Arsch im Behördensessel und könntet euren Sekretärinnen unter den Rock greifen. Aber wir stehen mitten in Sibirien! Das hier ist jungfräuliches Land. Und ihr seid die Pioniere, die es entjungfern sollen. Dazu gehört Mut und Stärke – also benehmt euch danach.«

Draußen lief unterdessen das an, was man Organisation nannte. Die Funkverbindung mit dem Dorf Nowo Sosnowka und vor allem mit dem großen Straflager klappte vorzüglich – man brauchte ja nur über den Fluß zu sprechen. Dagegen schwiegen Jakutsk und Ottokh, so verzweifelt sich der Zugfunker bemühte.

»Der Regen ersäuft sogar die Funkwellen«, sagte er schließlich resignierend. »Ich weiß, ich weiß, Genossen, das gibt es nicht, das ist Blödsinn, aber ich komme nicht durch.«

In ihrem Abteil, an dem noch das mit Lippenstift bemalte Schild ›Eintritt verboten! Zuglazarett‹ hing und Shukow und die Wuginskaja vor allem Besuch abschirmte, saßen sie allein am Fenster und starrten hinaus in diese graue, von Wäldern und einem über die Ufer getretenen Fluß, von einer aus Schlamm wabbelnden Straße und einem versinkenden Schienenstrang beherrschte Welt. Ein paar Männer in hohen Gummistiefeln und umgehängten Kunststoffplanen in gelber Farbe, Kunststoffhelme auf dem Kopf, wie ihn Bauarbeiter oder Fabrikarbeiter tragen müssen, rannten am Zug entlang, betrachteten völlig sinnlos die Schienen und den wegsackenden schweren Zug darauf, sprachen dann in Handfunkgeräte hinein, die Miller als Walkie-Talkie kannte, und riefen anscheinend irgendwelche fernen Behörden zu Hilfe. Das dauerte drei Stunden, der Fluß schien noch breiter zu werden, und es regnete so gewaltig, daß das Wasser aus dem farblosen Himmel wie ein einziger bewegter Vorhang war, hinter dem sich alles zu Schemen auflöste.

»Wenn in Rußland etwas geschieht, dann gründlich«, sagte Shukow gemütlich und lehnte sich zurück. Er holte eine Pfeife aus der Manteltasche und stopfte sie mit einer Mischung aus Tabak und Machorka, genau das Kraut, das sich ein mittelbezahlter Ingenieur leisten kann.



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